ANTONIO BRICEÑO - The skin of Mars


Die Haut des Mars

Gewalt hinterlässt unauslöschliche Spuren. Es gibt keinen kleinen Krieg. Dies ist das Wirkungsfeld des Mars, jenes Gottes, der seit Menschengedenken als Archetypus in unseren Köpfen wohnt. Zynisch verfolgt und konsumiert uns der Krieg. Mit ihren tausend Gesichtern explodiert die Gewalt rings umher; auch in uns selbst. Die Mythologie geht mit der Astronomie einher und so können wir die Spuren der Gewalt auf dem Mars, jenem Planeten, der dem unseren am ähnlichsten ist, klarer denn je zuvor erkennen: Einschlagkrater, Schluchten, Dünen, Spalte, Schlammlawinen, Canons und Vulkane wie den Olympus Mons, der zum höchsten des gesamten Sonnensystems erklärt wurde. Es wird vermutet, dass auf dem Planeten einmal, als die Bedingungen noch andere waren, Leben existierte; wir jedoch können nur noch die Narben sehen: die Hinterlassenschaften vergangener Kataklysmen, unablässig von furiosen Winden erodiert. Diese Wunden sind sowohl die Folge als auch die Ursache für die Erscheinung der Gottheit Mars. Er ist ein außerordentlich emotionaler und ungestümer Gott, der dazu neigt, die Kontrolle zu verlieren und dessen Wunden hochgradig sichtbar, aber auch tiefgehend sind. Genauso wie unsere. Unser Nachbarplanet weist bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Erde auf, oder vielmehr mit uns und unserer Neigung zur Gewalt. Mars kommt zu uns und offenbart, wie in einem Spiegel, woraus seine Haut gemacht ist. Vielleicht gelingt es uns, die Gelegenheit zu nutzen und zu verstehen, welche blindwütigen Kräfte sie zerstört haben.

 

Antonio Briceño

The skin of Mars

 

Violence leaves indelible traces. There is no small war. This is the field of Mars, the god who lives in our minds as an archetype since time immemorial. War haunts and consumes us cyclically. Violence, with its thousand faces, explodes everywhere; also within ourselves. Mythology runs alongside astronomy, and so we can see, clearer than ever before, the traces of violence on Mars, the planet that resembles ours the most: impact craters, abysms, dunes, cracks, mudslides, cannons and volcanoes, like Mount Olympus, crowned the tallest one of the whole Solar System. It is presumed that life existed on that small planet under different circumstances, but all we can see is its scars: the remains of past cataclysms, unceasingly eroded by furious winds. These wounds are both the consequence and the cause of Mars’ epiphany. He is an extraordinarily emotional and impetuous god, who has a tendency to lose control and whose wounds are highly exposed, though deeply rooted. Just like ours. That neighbouring planet has a striking resemblance to Earth, or rather to us, on our propensity for violence. Mars comes to us and reveals, as in a mirror, what its skin is made of. Perhaps, we’ll be able to understand, opportunely, what uncontrolled forces destroyed it.

 

Antonio Briceño




Der Körper und die Seele des Mars

Die Griechen, die so gründlich die menschliche Seele erforschten, hatten einen grausamen Gott: Ares, der Herr über Kriege und Schlachten. Er verkörperte die Gewalt in ihren brutalsten, un-kontrolliertesten und stürmischsten Seite, war war wild und blutdürstig, was ihm die Abneigung der Menschen und die Aversion der olympischen Götter einbrachte.

 

Die Römer identifizierten in ihm Mars, einen Gott, den sie von den Etruskern übernommen hatten und der nicht nur Herr über die Kriege, sondern auch die Landwirtschaft und die Fruchtbarkeit des Landes war. Aus diesem Grund, und weil er als der Vater des Romulus, einem der Gründer Roms, erachtet wurde, genoss er in der Bevölkerung hohes Ansehen. Mars war der Liebhaber von Venus, mit der er mehrere Kinder zeugte. Das heimliche und feurige Verhältnis mit der Göttin der Liebe offenbart eine weitere Seite des Kriegergottes: eine leidenschaftliche und höchst fleischliche. In dieser Facette liegt auch seine Assoziation mit Virilität und Männlichkeit begründet; mit Courage, Mut und Impulsivität; und, für manche, mit der lebendigen und sinnlichen Körperlichkeit von Tanz und Sexualität. Traditionell wurde Mars als junger Krieger dargestellt, groß gewachsen, athletisch und stark. Sein Heldenmut und seine Anziehungskraft betörten die schöne Venus und trieben sie dazu, ihren Ehemann Hephaistos zu hintergehen. Die Brutalität dieses mörderischen Gottes lässt sich demnach nur schwer von seiner Körperlichkeit trennen, jenem Bereich, in dem irrationale Energien vorherrschen, destruktiv und fruchtbar zugleich. Nicht ohne Verwunderung erfahren wir, dass der Planet, der seinen Namen trägt ebenfalls fest dem physischen und harten Grund verhaftet ist. Mars ist einer der vier tellurischen Planeten dieses Sonnensystems, die sich mit ihrer felsigen Beschaffenheit den anderen widersetzen: den Gasgiganten. Seine Nähe und Verwandtschaft mit unserem Planeten verstärken noch das Staunen über seine staubige und öde Landschaft, seine raue Geographie, das Ergebnis enormer Kataklysmen, wie sie auf der Erde ihresgleichen suchen. 

 

Antonio Briceño schuf diese Serie aus  Aufnahmen von der Marsoberfläche, die während der jüngsten NASA-Missionen entstanden sind. Der Künstler überlagerte diese Zeugnisse der katastrophenreichen Geologie des Planeten Mars mit Darstellungen klassischer Skulpturen des Gottes Mars von den Websites sechs renommierter Museen. Die reiche Texturierung und das Farbspiel des Roten Planeten, die auf den Satellitenaufnahmen zu sehen sind, werden hier als gezeichnete Haut auf den schönen Körper des Kriegers transferiert. Einerseits sehen wir durch diese Bilder wie die archetypische Brutalität des Mars etwas Körperliches ist. Es ist gewissermaßen eine primäre und unmittelbare Gewaltsamkeit und eben deshalb eine furchteinflößende. Sie provoziert den Terror des Barbarischen und die Furcht vor dem Unzivilisierten ganz ähnlich diesem merkwürdigen, so nahen Planeten, der von unbewussten tellurischen Mächten, die sich jeder rationalen Kontrolle entziehen, angetrieben wird. Andererseits verleiht eben die direkte Anspielung auf das Körperliche diesen Bildern etwas zutiefst Verstörendes, als ob wir durch sie erkennen, dass der Körper ein emotionales Schlachtfeld ist, auf dem die Seele sich mit Krankheit, Schmerz, Genuss, Alter und Tod zu befassen hat.

 

Briceños gesamtes Oeuvre ist von einem hohen Sinn fürs Ethische durchdrungen. In früheren Serien ging es um die Aktualisierung einer Poetik, die um unseren Planeten kreist, die Wesen, die ihn bevölkern, die Natur sowie die kulturelle und spirituelle Vielfalt der Menschheit. Der Künstler reflektiert permanent, wie sich der Reichtum des Lebens auf unserem Planeten in jenem fragilen Gleichgewicht manifestiert, von dem sein Fortbestand abhängt.

 

Auch wenn der archetypische Mars, der im einzelnen wie im kollektiven Unterbewussten innewohnt, die Gewalt und alles, was sie mit sich bringt, hütet und sie als tiefverwurzelten Teil der menschlichen Natur begrüßt, ist er doch imstande, seine irrationale und unkontrollierbare Rage über die Verweigerung und den Mangel am Maßhalten zu entfesseln. Die Komplexität des Mars’schen Archetypus liegt in dem subtilen Gleichgewicht zwischen dem Körper, der vernichtet und dem, der befruchtet — beide entspringen derselben virilen und dynamischen Energie. Man kann sich fragen, ob in unserer voll ausgestatteten Welt, die sosehr von der Technik geprägt ist und in der wir uns für gewöhnlich als zivilisierte Wesen erachten, friedliebend und wohlmeinend, ein entmenschlichendes Ungleichgewicht eingetreten ist — womöglich eine Entkoppelung von Körper und Emotion — die eine ununterdrückbare Gewalt freigesetzt hat, welche als charakteristisches Merkmal unserer Zeit unser Überleben auf der Erde zu gefährden droht. 

 

Die Haut des Mars setzt diese Überlegungen fort, in denen der Künstler sich nun auf Gewalt und Verwüstung als Symptome eines Ungleichgewichts in der Psyche der Welt konzentriert, die uns zur Selbstauslöschung führen könnte und deren Formulierung in dieser Ausstellung eine Dimension anstrebt, die auch die archetypische Idee und Fragen der Rolle der kollektiven Psyche als wahrhaftige Aktivatorin der Geschichte einschließt.

 

Katherine Chacón

Mai 2016

The body and soul of Mars

The Greeks, who read so thoroughly the human soul, had a terrible god: Ares, who reigned over war and battles. He personified violence in its most brutal, uncontrolled and tumultuous aspect. He was wild and sanguinary, and that earned him the antipathy of humans and the aversion of the other Olympian gods.

 

The Romans identified him with Mars, a god they had inherited from the Etruscans, who not only ruled over war, but also over agriculture and the fertility of the land. For this reason, and because they considered him to be the father of Romulus, one of Rome’s founders, he enjoyed high esteem among the people. Mars was the lover of Venus, with whom he fathered several children. This secret and fiery relationship he entertained with the goddess of love shows us another face of the warrior god: a passionate and intensely corporeal one. This facet associates him with virility and masculinity; with courage, boldness and impulsiveness; and, for some, with the active and sensual corporeality of dance and sexual intercourse. Mars was traditionally represented as a young warrior, tall, well-built and vigorous. His bravery and allure seduced the beautiful Venus, forcing her to betray her husband, Hephaestus. Thus, the violence of this murderer god can hardly be disassociated from his body, the very field in which this irrational energy thrives, destructive and fertile at the same time. Not without surprise we learn that the planet that bears his name is also strongly rooted in physical and solid ground. In fact, Mars is one of the four telluric planets –of a rocky nature- of the Solar System, in contradistinction to the rest of them: the gas giants. Its proximity and close kinship with our planet reinforce the sense of wonder produced by its dusty and lonely landscape, and its rough geography, which is the result of massive cataclysms that have no equivalent on Earth.

 

Antonio Briceño has created this series from images of Mars’ surface taken during NASA’s most recent missions. The artist has overlaid these traces of the catastrophic Martian geology on pictures of classical sculptures of the god Mars from the websites of six major art museums. The rich textural fabrics and play of colour from those satellite images of the Red Planet are transferred, as marked skins, to the beautiful body of the sculpted young warrior.  On the one hand, through these images we perceive that archetypal Mars’ violence is a matter of the body. It is, in a way, a primary and immediate violence, and therefore a terrifying one. It provokes the terror of barbarism and the fear of what is uncivilized, much like that strange and close planet, moved by unconscious and telluric forces that escape from any rational control. On the other hand, the direct reference to the body makes these pictures deeply disturbing, like if through them we realize that the body is a field in which emotional battles are fought, and where the soul deals with disease, pain, pleasure, age and death.

 

Briceño’s entire body of work has a high sense of ethics. His previous series have updated a poetics that revolves around the planet, the beings that inhabit it, nature and the cultural and spiritual diversity of humankind. The artist constantly reflects on the various ways in which the richness of life on our planet manifests itself and the fragile balance on which depends its preservation.

 

Although the archetypal Mars that lives in the individual and collective unconscious guards violence and all that it entails, and welcomes it as deeply rooted in human nature, he can unleash his irrational and uncontrollable rage before our denial and lack of moderation. The complexity of Mars’ archetype lies on the subtle balance between the body that annihilates and the one that fertilizes, both originated from the same virile and active energy. One might wonder if in our accommodated world, so highly technicized, in which we usually think of ourselves as civilized beings, peaceful and benevolent, a dehumanizing imbalance has taken place -perhaps a disconnection between body and emotion- leading to an irrepressible violence that, as a characteristic sign of our times, seems to threaten our own survival on Earth.

 

The Skin of Mars comes as a continuation of these reflections that the artist focuses now on the violence and the devastation as symptoms of an imbalance of the world’s psyche, which could lead us to self-annihilation, and whose formulation in this exhibition reaches a dimension that involves the archetypal idea and questions the role of the collective psyche as the true activator of history.

 

Katherine Chacón

May 2016



Eine Auswahl der Editionen

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