KEINE SZENE, KEINE HEIMAT –
BILDER VOM BESCHÄDIGTEN LEBEN
Als Florian Günther Anfang der achtziger Jahre von einem DDR-Verlag erfuhr, dass er keine Aussicht auf literarische Veröffentlichungen habe – Begründung: zu negativ das Abbild der Realität – war das ein zweischneidiges Ereignis. Ein Schock einerseits, dass alles Erdichtete in der Schublade vermodern sollte, der aber andererseits heilsam in einen Anfang anderer Art hinüber führte. Was der Dichter beschrieb, was er mit seinen Augen sah, war ja nicht nur in Worte zu fassen, es konnte auch optisch festgehalten werden. Bilder sind unbestechlich, entstammen sie einem Geist, der von sich Authentisches abfordert. Schockieren war anders: keine Verdammnis in die Leere, in die Nicht-Produktivität. Oder sagen wir es so: ein Dichter suchte sich hier einfach ein anderes Medium, das sich staatlicher Kontrolle entzog. Einher ging damit, dass Florian Günther sieben Jahre lang keine Texte, keine Gedichte schrieb. Statt dessen die Annäherung an die Bilderwelt. Die Technik der Fotografie war einfach zu handhaben: Man kaufte sich eine billige Kamera, und aus jeder Küche ließ sich eine Dunkelkammer improvisieren. Dass die Motive in Schwarz-Weiß gebannt wurden, war zwangsläufig eine ästhetische Überzeugung: Das Land DDR bot wenig Farbe, und wenn schon, dann war es eine verlogene Propaganda-Realität. Für Florian Günther blieben die Themen zweitrangig. Er hatte sich nie festgelegt. Pendelnd zwischen Allem und Nichts. Es gab ja auch keine Auftraggeber. Was ihn interessierte, das war das Unspektakuläre: Alltag, Straßen Szenen, verkrachte Existenzen, ein Schnapstrinker in der Straßenbahn, ein räudiger Hund beim Scheißen, eine Frauenfigur, in sich zusammengekrümmt im Türrahmen liegend, zerbröckelnde Häuserfassaden, die etwas erzählten vom Zustand des Landes, der Stadt Berlin, in der der Dichter-Fotograf, der Seismograph, lebte.
Das Umfeld, in dem Florian Günther in den achtziger Jahren seine Fotos machte, war überschaubar. Meist entstammten die Beobachtungen des Tagtäglichen den Stadtbezirken Friedrichshain und Mitte, wo er einige Jahre als bibliotheks-technischer Mitarbeiter tätig war. Was ihn interessierte, war das ungeschminkte Leben. Der Lack im Staate DDR war sowieso ab. Brauchte man da nur draufzuhalten mit der Kamera, um die Realität einzufangen? Im Gegenteil! Das Konkrete, das sich als subtile Beobachtung erwies, war mit „dem Auge des Entdeckers“, um mit dem Dichter Nicolas Born zu sprechen, herauszukitzeln. Dabei kam es darauf an, den richtigen Moment zu treffen. Wie in seinen Gedichten später, wo der Parlando- Ton nur scheinbar lässig daherkommt, sondern durch Genauigkeit in der Sprache hart erarbeitet ist, kam es auch in der Fotografie darauf an, den richtigen Moment zu treffen, so als müsse die Aufnahme für eine Pointe offen bleiben. Florian Günther verließ sich dabei immer auf das eigene Gespür. Er war und ist ein Solitär, wie der Schriftsteller und Entdecker Rolf Dieter Brinkmanns, Hermann Peter Piwitt Jahre später über ihn schrieb. Einer, der sich abseits hielt – von der Prenzlauer Berg-Künstlerszene genauso wie dem offiziellen, staatlich sanktionierten Künstlerbetrieb. Und wenn schon Inspiration und Orientierung, dann kamen sie aus anderen Medien: Ausstellungen von Joseph Beuys und Alfred Hrdlicka in Ostberlin hinterließen tiefe Eindrücke. Aber auch die Menschen in den Fabriken und Kneipen, die alleinerziehende, trinkende Mutter aus dem Hinterhaus.
Vieles von dem und denen hat er fotografiert – nur ist nicht mehr sehr viel davon vorhanden. „Irgendwann nach 1989 dachte ich – ich fürchte, ich war nicht mehr ganz nüchtern – ich bräuchte diesen ganzen alten Mist nicht mehr.“ Es sollen Tausende von Negativen gewesen sein, wie alte Weg Begleiter zu berichten wissen. Freuen wir uns also über das, was noch vorhanden bzw. nach 1989 entstanden ist. Denn auch für Florian Günther änderte sich einiges: sein Jagdgebiet, seine Wildnis DDR sollte nun nicht mehr der einzige Kosmos sein. Wie viele andere zog es ihn, ob mit oder ohne Fotoauftrag, hinaus in die Welt. Was er mitnahm, war der Blick eines poetischen Fotografen, der sich auf seine Unbestechlichkeit in der Wahrnehmung verlassen konnte.
Thomas Günther
NO SCENE, NO HOME -
PICTURES FROM DAMAGED LIFE
When Florian Günther in the early eighties heard from a GDR publisher that he had no prospect of literary publications – argument: the image of reality is too negative – this was a double-edged event. A shock on the one hand, that all that he had written should rot in the drawer, but on the other hand it led him into a salutary beginning of another kind. What the poet described, what he saw with his eyes, was not only to take in words, it could also be visually fixed. Images are incorruptible, they stem from a mind that asks itself authentic things. Shocking was different: no condemnation in the vacuum, in the non-productivity. Or to put it this way: Here a poet was looking for just another medium that eluded state control. For seven years Florian Günther wrote no texts, no poems. Instead, the approach to the world of images. the technique of photography was easy to handle: You bought a cheap camera and every kitchen you could transform into a darkroom. That the motives were banned in black and white was necessarily an aesthetic conviction: The country GDR offered little color, and if it did, it was a mendacious propaganda reality. For Florian Günther topics remained secondary. He had never set. Oscillating between everything and nothing. There were also no clients. The unspectacular interested him: everyday life, street scenes, botched existences, a brandy drinker in the tram, a mangy dog shitting, a female figure, hunched lying in the doorframe, crumbling facades that told something of the state (of repair) of the country, of the Berlin, in which the poet-photographer, the seismograph, lived.
The environment, in which Florian Günther made his pictures in the eighties, was manageable. Most of his sightings of the daily life came from the districts of Friedrichshain and Mitte, where he worked as library-technical employees for several years. The unvarnished life interested him. The GDR was getting on a bit. Did you need just to focus it with the camera to capture reality? On the contrary! The concrete, which proved to be a subtle observation, was to be teased out with “the eye of the discoverer”, like the poet Nicolas Born says. It was important to capture the right moment. As later in his poems, where the Parlando- sound only seems to come casually, but is a result of hard work through precision in language, it was important in photography as well to make the right moment, as if the photograph should be left open for a Pointe. Florian Günther always relied on his instinct, his feeling. He was and is a solitaire, as the writer and explorer Rolf Dieter Brinkmann, Hermann Peter Piwitt wrote years later about him. One who had separated himself - from the Prenzlauer Berg-art scene as well as from the official, state-sanctioned art business. Inspiration and orientation, they came from other media: exhibitions by Joseph Beuys and Alfred Hrdlicka in East Berlin left deep impression. In addition the people in the factories and pubs, the single, drinking mother in the back of a building.
Much of it he has photographed - although not very much of it is left. “Sometime after 1989, I thought – I think I was not quite sober - I do not need all this old crap.” It should have been thousands of negatives, like old companions can report. So let us be pleased about the things that are still there or that were created after 1989. Even for Florian Günther things changed: his hunting area, his wildlife GDR should now no longer be the only cosmos. Like many others he moved, with or without a photo job, out into the world. What he took was the look of a poetic photographer who could rely on his incorruptibility in perception.
Thomas Günther
Florian Günther - REISEN OHNE WEGZUMÜSSEN
Wir freuten uns ergänzend zur parallel stattfindenden Ausstellung "Geschlossene Gesellschaft" - Künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989 in der Berlinischen Galerie den neu erschienen Fotobildband von Florian Günther präsentieren zu können.
Es ist eine Neu-Entdeckung und Bereicherung zur offiziellen Geschichtsschreibung der DDR-Vergangenheit. Ein Dichter packt seine Kamera aus - und zeigt uns ungeschönt, schonungslos die nackten Realitäten.